9.2.13

"Dorina Herbst" und die Internet-Mafia

Wenn, wie in der kürzlich gesendeten ARTE-Reportage von "Dorina Herbst" (wohl ein Pseudonym aus Angst vor der "Internet-Mafia") schon am Anfang der Satz "Jeden kann es treffen" verwendet wird, ist dies kein gutes Zeichen. Und so kam es dann auch.

Es wird der Fall von Ursula H. aus Leipzig erzählt, die so dumm war ein Konto für einen fake-shop-Betreiber zu eröffnen, woraufhin gegen sie ermittelt wird.
Vor Gericht kann sich Ursula H. nicht verteidigen, da es keine Verhandlung gibt. Die Strafe: sie muss 2250 Euro zahlen. Ursula H. versteht die Welt nicht mehr
Nicht nur Ursula H. versteht die Welt nicht mehr, auch "Dorina Herbst" ist merkbefreit. Es handelt sich um einen Strafbefehl. "Ursula H." hätte gegen den Strafbefehl Einspruch einlegen können, dann hätte es eine Verhandlung gegeben.

Es wird auch der BKA-Mann Mirko Manske interviewt. Er ist "erster Kriminalhauptkommissar" und führt den geradezu bombastischen Titel "Sachgebietsleiter für Operative Auswertung im Bereich Cybercrime" und ist "Kopf einer Spezialeinheit". Überraschenderweise hat er wirklich Ahnung und erklärt die Grundlagen sehr gut.

Auf gehts nach Osteuropa:
Vladimir zeigt uns online Auktionen, bei denen Waren äußerst günstig angeboten werden
"Dorina Herbst" hat wohl nicht verstanden, dass bei Auktionen fast immer niedrig begonnen wird. Das alleine ist kein Indiz. Immerhin zeigt "Vladimir" dann einen realen Markt in der Nähe, auf dem Hehlerware verkauft wird.

Ein weiterer Fall wird dargestellt, "Alfred M.", wieder aus Leipzig. Er hat als "Paket-Dienstleister" gearbeitet, d.h. Lieferungen angenommen und sie an die Betrüger weitergeleitet. Für jemand, der so tat als sei er von "MBE" (Mail Boxes etc), eine Firma die Postfächer vermietet und Bürodienstleitungen anbietet. "Dorina Herbst" bezeichnet fälschlicherweise MBE als "Paketzusteller". Vielleicht weil MBE inzwischen eine Tochter von UPS ist.

Auch er bekommt einen Strafbefehl, wobei fälschlicherweise behauptet wird, die Staatsanwaltschaft hätte den Strafbefehl erlassen. Tatsächlich beantragt die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl, erlassen wird er vom Gericht.

Danach wird Symantec besucht. Ja Symantec! Besonders beliebt bei New York Times lesenden China-Hackern! Dort wird den stupid germans ein Server-Raum gezeigt. Ja, so mit Technik und blinkenden Lämpchen. In Grün! Toll! Ich habe in den letzten 10 Jahren nur einmal einen Serverraum betreten. Um einen abgestürzten Server neu zu starten (Die Beschriftungen fehlten und somit war etwas Vorsicht notwendig). Niemand aus der Software-Branche betritt normalerweise in seinem Leben je einen Server-Raum, denn wir haben Büros! Server-Räume sind was für Besucher. Und für Orla Cox (Twitter Profil: "Infosec, music, fashion, celeb gossip and Arsenal FC") die kurz mal so tut als würde sie von dort arbeiten, und sich nun freut, ins deutsche Fernsehen zu kommen.


In Deutschland zeigt der BKA-Mann wie eine DDoS-Attacke auf BKA.de funktioniert. Merkwürdig ist aber das die gezeigten IP-Adressen alle mit 192.168. beginnen - ein privates Netzwerk. Zum Schluss gibt die off-Stimme das ein wenig zu: "Zum Glück lief die Aktion nur im kleinen Rahmen".

Es werden Leute vom FBI interviewt. Auch die haben durchaus Ahnung, und erklären die diversen Foren auf denen die Betrüger zueinander finden.

Zum Schluss geht es zurück nach Deutschland, und es wird der Betrüger erwischt, der Ursula H. zur Geldwäsche angestiftet hat, sowie seine gesamte Bande, und sie kommen vor Gericht und bekommen bis zu 7 Jahre Gefängnis. Obwohl sie so frech sind, sich Anwälte zu nehmen. Erneut wird Unfug verbreitet:
Ursula H. versteht die Welt nicht mehr. Sie bekam einen Strafbefehl ohne Prozess und ohne Chance sich zu verteidigen.
Ursula H. spricht selbst:
Ich hatte gar nichts, keinen Richter (unverständliches Gemurmel) nur einen Staatsanwalt, ohne Verteidigung, ich konnte mich nicht, bin verknackt worden". 
NEIN! Sie hätte Einspruch einlegen können!

Es ist erstaunlich, dass so ein Müll bei Arte gezeigt wird. Und dass ausgerechnet beim Unterschichten-Sender Sat1 mehrere viel kürzere, aber deutlich bessere Reportagen zum Thema gemacht wurden. Bei dieser Reportage wurden die einzelnen Aspekte nicht sauber getrennt, sondern es war ein Misch-Masch von irgendwie bedrohlichen Dingen. Ganz unter dem Tisch fiel der Aspekt, dass auch Geheimdienste Malware einsetzen (Stuxnet, Flame) und sogar "Sicherheitsbehörden" es tun (Finfisher), und somit auch Teil der "Internet-Mafia" sind.

Update 24.4.2016:
  1. "Dorina Herbst" ist wohl ihr wirklicher Name. Laut ihrer Xing Seite hat sie design studiert.
  2. Auch Die Welt ist von dieser "Reportage" nicht überzeugt:
    Einmal mehr fällt auf: Wenn deutsche Fernsehmacher die Bedrohung aus dem Netz illustrieren wollen, setzen sie ihre Interviewpartner entweder vor einen Matrix-Bildschirmschoner oder direkt in einen Serverraum, den in den meisten Firmen nur Wartungstechniker betreten. Diese künstlich erzwungene Dramatik zieht sich durch die gesamten 75 Minuten der Dokumentation.